Von Kassel nach Bad Soden

von Johannes Stöckel, 24.12.2006

Vom 15.-17.12. wurde in Kassel das 2. Qualifikationsturnier der deutschen Amateurmeisterschafft 2006/2007 ausgetragen. Daran nahmen auch zwei Spieler des SV Oberursel teil: Dietmar Ruebsamen in der Wertungsgruppe C (TWZ 1900-1701) und Johannes Stöckel in der Wertungsgruppe E (TWZ 1500-1301). Dabei erreichte Johannes mit 4 Punkten aus 5 Runden (Schweizer System) den 4. Platz in seiner Gruppe und schaffte damit die Qualifikation für das Finale, das vom 31.5.-2.6. 2007 in Bad Soden ausgetragen wird. Mit 3½ Punkten erreichte auch Dietmar ein gutes Ergebnis.

In der bestehenden Form wird die Deutsche Amateurmeisterschaft vom Deutschen Schachbund seit der Saison 2001/2002 und damit zum sechsten Mal ausgetragen. Zu Ehren des Hauptsponsors, der Hotelgruppe RAMADA, wird die Turnierserie auch RAMADA-Cup genannt.

Johannes erwies sich diesmal als konditionsstarker Turnierspieler: Musste er in der 1. Runde nach vergebener Chance noch froh sein, dass die Gegenspielerin schließlich Remis anbot, konnte er in den folgenden drei Partien seine Gegner bereits in der Eröffnung überspielen. In der 3. Runde musste er dennoch bis ins Turmendspiel, bei Zeitknappheit trotz zweier Mehrbauern und Gewinnstellung nochmal ein heikles Unterfangen, während die 4. Partie eine Kurzpartie wurde, die vieles zu bieten hatte: Kuriose Stellungsbilder, interessante Mattwendungen und eine sehenswerte Schlusskombination (zu der es dann allerdings gar nicht mehr in vollem Umfang kam), freilich auch haarsträubende Fehler des Gegenspielers, die einen schnellen Sieg ja erst möglich machen.

Vor der letzten Runde war die Ausgangsposition dann folgende: Vier Spieler lagen mit je 3½ Punkten vorne, darunter Johannes auf Rang 4. Einzig der Führende und spätere Turniersieger, Jens Forner aus Leipzig, war aufgrund der Tabellenkonstellation und seiner hervorragenden Buchholzzahl in der komfortablen Situation, auch bei einer Niederlage fürs Finale qualifiziert zu sein, während für die anderen „Top oder Flop“ galt: möglicher Turniergewinn bei Sieg, wahrscheinliches oder sicheres Ausscheiden bei Niederlage. So kam es, wie es (vielleicht) kommen musste: An Tisch eins einigte man sich nach 20 Minuten auf Remis und zehn Minuten später nahm auch Johannes (mit Schwarz an Tisch zwei) das Remisangebot seines erst 15jährigen und offensichtlich sehr nervösen Gegners an, obwohl er sich in einer ungewollt scharfen Stellung des Grünfeld-Inders leicht im Vorteil sah. Bekanntlich ist schon mancher, der den „totalen Sieg“ wollte, untergegangen ...

Hier noch die Partie Stöckel gegen Ramme (DWZ:1454) aus der Rubrik "Kurios":

(Die Partie kann ebenfalls unter http://www.sv-oberursel.de/partien/ eingesehen werden.)

1. Sf3 Sc6 ?!
2. d4 d5

Die Stellung ist bereits günstig für Weiß, da der Sc6 den c-Bauern verstellt.

3. c4 Lf5 ?!

Mit 3. ... Lg4 ginge die Partie in die Tschigorin-Verteidigung über.

4. Da4 ?! ...

Stärker war wohl 4. cxd5, denn nun scheitert 4. ... Sb4 (mit der „Drohung“
5. ... Sc2) an 4. Da4+ und 4. ... Dxd5
5. Sc3 ist gut für Weiß, während nach dem Textzug Schwarz mit 4. ... dxc4 ganz gut fahren würde. Doch ...

4. ... Ld7 ??

Ein Fehler, der bereits zu entscheidendem Vorteil von Weiß führt. Zugrunde lag dem ein einfacher Rechenfehler von Schwarz, der 5. cxd4 mit 5. ... Sxd4 zu beantworten gedachte.

5. cxd5 Se5
6. Db3 Sg4 ?

Schwarz schickt seinen Springer „gekonnt“ in die Wüste. Geboten war natürlich Sxf3.

7. Sc3 ...

Hier war ein Rechenfehler von Weiß dafür verantwortlich, dass er nicht auf b7 schlug, doch auch der Textzug ist gut.

7. ... b6 ?

In dem Bemühen zu retten, was zu retten ist, schafft Schwarz eine verhängnisvolle Schwäche auf c6. Das kleinere Übel bestand wohl in Tb8 oder Dc8.

8. h3 ...

Die Jagd beginnt.

8. ... Sf6
9. e4 Lc8

Es drohte 10. e5 Sh5 11. g4 mit Figurengewinn. Die anderen Möglich-keiten, dem Sf6 ein Rückzugsfeld zu schaffen, 9. ... Sh6 oder 9. ... g6, sind jedoch auch nicht gerade verlockend.

10. e5 Sd7
11. e6 ...

Der weiße e-Bauer marschiert und marschiert ...

11. ... fxe6
12. dxe6 Sb8

Auch der Springer kehrt reumütig heim, um sich um das vernachlässigte Feld c6 zu kümmern. Eine kuriose Stellung mit Seltenheitswert.

13. d5! ...

Verfrüht wäre 13. Lb5+ wegen 13. ... c6, während 13. Se5! wohl noch stärker ist, z.B.: 13. ... Dxd5 14. Sf7 g6
15. Le3 Dg7 16. Se5 Sa6 17. Lxa6 Lxa6 18. Sxc7 matt oder 13. ... Sh6 14. Sf7 Sxf7
15. exf7+ Kd7 16. Dd5 matt.

13. ... Dd6 ?

Der untaugliche Versuch, das Feld c6 doch noch unter Kontrolle zu bekommen und bereits der entscheidende Tempoverlust, nach dem die schwarze Stellung rasch zusammenbricht, denn ...

14. Se4 Dd8

... husch, husch, zurück ins Körbchen. Jetzt ist 15. Se5 wieder sehr stark: 15. ... c6 (es drohte 16. Sf7 mit Damenverlust, wobei 15. ... c5 und 15. ... Lb7 wegen 16. Lb5+ und 15. ... La6? wegen 16. Lxa6 Sxa6
17. Db5+ nichts taugen) und jetzt 16. Sf7,
z.B.: 16. ... Dxd5 17. Dxd5 cxd5
18. Lb5+ Ld7 19. Lxd7+ Sxd7 20. Sxh8.
Weiß fand jedoch stattdessen eine elegantere, letztlich sogar einfachere Kombination zum Turmgewinn:

15. Lb5+ c6

Auch 15. ... Sd7 oder Ld7 taugen nichts wegen 16. Se5!

16. dxc6 Dc7

Es drohte 17. c7+.

17. Lf4 !

Die Pointe: Ein Ablenkungsopfer das nicht abgelehnt werden kann, oder?

17. ... Lxe6 ?!

Schwarz wollte sich indessen nicht lumpen lassen getreu dem Motto: „Geben ist seliger denn nehmen.“

18. Dxe6 ...

Das ist stärker als Lxc7.

18. ... Dc8 ?

Eine letzte Verzweiflungstat um den Gegner zu verwirren. Zu retten war aber ohnehin nichts mehr: 18. ... Dxf4
19.c7+ Sd7 20. Lxd7 matt.

19. Sd6+ !

Und Schwarz war angesichts von
19. ...Kd8 20. Dxc8 matt endlich von allen Leiden erlöst.

Bleibt zu ergänzen, wie ein Turm nach
17. ... Dxf4 gewonnen worden wäre wäre: 18. c7+ Sd7 (18. ... Ld7 ändert nichts) 19. Lxd7+ Lxd7 20. exd7+ Kxd7 21. Dd5+ Kxc7 22. Dxa8 und der Springer auf e4, dem einzigen verwundbaren Punkt in der weißen Stellung, ist gedeckt. Z.B. folgt auf 22. ... Sf6 23. Sfg5 mit der Drohung 24. Se6+ und baldigem Matt.


Die Partie lässt sich unter http://www.sv-oberursel.de/partien/ online nachspielen.
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